Ubiquitäre (allgegenwärtige) Demokratie 2.0




In einem dreitägigen Veranstaltungsmarathon wollten die Xinnovations 2009, Trendbarometer für netzbasierte Informationstechnologien sein. Auf der Konferenz diskutierten rund 600 Tagesbesucher aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Verwaltung Lösungskonzepte und Visionen für die Informationsgesellschaft der Zukunft.

E-Justice 3.0
Prof. Robert Tolksdorf, Leiter der Arbeitsgruppe Netzbasierte Informationssysteme (NBI) am Institut für Informatik an der Freien Universität Berlin, stellte dar, welchen Einfluss Web 2.0- und Web 3.0-Technologien auf das Justizwesen haben könnten und sollten. Insbesondere erläuterte er, wie semantische, sprich Web-3.0-Technologien, in Zukunft die Erschließung juristischer Informationen im Web erleichtern können. Demnach werden die Intermediäre zwischen Bürger und Recht durch semantisch bereitgestellte Daten (Gesetze, Urteile) geschwächt. Tolksdorfs provokative Frage lautete daher, ob diese Art der Transparenz von den Juristen überhaupt erwünscht ist bzw. inwiefern die Justiz und ihre Verfahrensbeteiligten auf diese Entwicklung vorbereitet sind.

Collaboration 2.0
Wie der faktischen Macht des Internets zu begegnen ist und welche Antworten es für eine moderne Gesellschaft geben muss, wurde auch im Forum E-Government thematisiert. Prof. Dr. Jörn von Lucke von der Zeppelin University unterbreitete unter dem Titel Collaboration 2.0 Vorschläge für einen neuen Innovationsschub in der öffentlichen Verwaltung durch Crowd Sourcing. Seine These: "Web-2.0-Technologien eröffnen mittlerweile vielfältige Möglichkeiten zur Einbindung innovativer und kreativer Menschen. Gerade die Jedermann-Jederzeit-Änderungsmöglichkeiten, das gemeinsame Lösen von Aufgaben und das verteilte Bearbeiten von Projekten geben der Zusammenarbeit einen ganzen neuen Schub im Sinne von Collaboration 2.0." Mit dieser neuen Form der Zusammenarbeit, im Englischen als "Crowd Sourcing" bezeichnet, könnte eine neuartige Ideenfabrik für den öffentlichen Sektor eingerichtet werden. Verwaltungsmitarbeiter wären so mit ihrem Wissen und ihren Erfahrungen in einen offenen Innovationsprozess eingebunden. Collaboration 2.0 zeigt, dass es sich nicht bloß um eine theoretische Diskussion handelt, sondern es um eine "strategische Neuaufstellung von Staat und Verwaltung im globalen Wettbewerb um kluge Köpfe, Innovationskraft, wettbewerbsfähige Produkte und zukunftssichere Arbeitsplätze geht".

Ubiquitäre Demokratie
Pavel Mayer, Geschäftsführer ART+COM Technologies, präsentierte internetgestützte Ansätze für eine ubiquitäre Demokratie. Seine Hauptthese lautete: "Vor dem Hintergrund eines multisektorialen Wandels zur Informationsgesellschaft mangelt es den zentralen Akteuren an Antizipations- und Adaptionsfähigkeit". So seien die Schwierigkeiten der parlamentarischen Demokratie, die Partizipationsmöglichkeiten durch das Internet in den politischen Entscheidungsprozess zu integrieren, die Symptome eines krisenhaften Wandels. Für Mayer werden neue demokratische Beteiligungs- und Entscheidungsformen benötigt, die in der Piratenpartei derzeit unter dem Begriff "Liquid Democracy" diskutiert werden. Für die Teilnehmer einer solchen Demokratie hieße das zu jedem Zeitpunkt für sich selbst entscheiden zu können, wo auf dem Kontinuum zwischen repräsentativer und direkter Demokratie er sich aufhalten möchte. Jederzeit. Das bedeutet, dass ich als Teilnehmer beispielsweise sagen kann:

"Für Steuerrecht möchte ich gerne durch die Partei SPD, für Umweltpolitik durch die Partei die Grünen und für die Schulpolitik durch die Privatperson Herrn Müller vertreten werden. Für die Entscheidung über das neue Hochschul-Zulassungsgesetz an den Universitäten möchte ich aber selbst abstimmen."

Entscheidend für dieses Mix-Prinzip sei, dass man sich nicht mehr für ein Bündel von Prinzipien entscheiden muss, wie es beispielsweise eine Partei bietet, sondern man sucht sich je nach Thema die Experten aus, denen man vertraut, oder entscheidet selbst.

Free eBook
Der Tagungsband steht online zum Download zur Verfügung. Weitere Onlinematerialien sollen folgen

Quelle:
Tagungsband und Programm Xinnovations 2009 (PDF, 201 S., 4.8 MB. 17.9.2009)

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